
Regieren wird für die SPD in MV schwieriger. Eine Analyse unseres stellvertretenen Chefredakteurs Stefan Max Koslik
Bislang konnte man sich auf einen Anachronismus in MV immer verlassen: SPD und CDU liegen je nach Wahl – im Bund oder im Land – diametral in der Wählergunst. Die CDU lag bei den Bundestagswahlen regelmäßig weit vorn, ja sogar über den Ergebnissen im Bund, zuletzt bei 42,5 Prozent. Die SPD war stets nur dritter Sieger noch weit hinter der Linkspartei. Bei Landtagswahlen das umgekehrte Bild. SPD weit vorne. Die CDU rutschte im letzten Jahr sogar noch hinter die AfD. Selbst bei den Direktmandaten der Landtagswahlen reichte es bei der CDU nur noch für ein Viertel. Bei Bundestagswahlen holte sie hingegen alle sechs.
Das nennt man Merkel-Effekt, der hierzulande zu verteidigen war, wo die Kanzlerin nicht nur ihr politisches Zuhause hat, sondern ihr auch im Wahlkampf ungleich mehr Auftritte organisiert wurden als ihrem Konkurrenten von der SPD hatte. Das zahlte sich aus. Zwar konnte Merkel nicht mehr die 56 Prozent der letzten Bundestagswahl erreichen. Aber hier waren auch die Spitzenkandidaten fast aller Parteien versammelt. Achtungszeichen: Leif-Erik Holm, Spitzenkandidat der AfD, platzierte sich weit, weit hinter Merkel, aber eben auch vor allen anderen.
Die Alternative für Deutschland hat die Wahlarithmetik bei den Bundestagswahlen aus dem Stand kräftig durcheinandergewirbelt. Ihre Platzierung in MV kostet den großen Parteien zwischen neun und drei Prozent. Wählerwanderungen werden in den nächsten Tagen noch eine Rolle spielen. Entsprechend waren gestern Abend die ersten Reaktionen. Die Wahlparty bei der CDU in Schwerin erlebte nicht den sonst üblichen Jubel. Kein Klatschen, betretene Gesichter. Bei der SPD gaben sich Jungpolitiker zwar selbstbewusst. „Die CDU hat den Regierungsauftrag“, sagte der Landtagsabgeordnete Julian Barlen sonor nach der ersten Ankündigung von SPD-Parteivize und Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, dass die SPD im Bundestag in die Opposition gehen wolle. Aber in Wirklichkeit herrschte eher eine riesige Ernüchterung. Nach dem Neuaufbruch mit Schwesig in MV jetzt dieser Einbruch. Die Landesgeschäftsführerin deutlich enttäuscht. Die bittere Ironie der SPD, ausgesprochen vom Bürgermeister der kleinen Gemeinde Sukow nahe Schwerin, Horst-Dieter Keding: „Es kann jetzt nur noch besser werden.“ Bei den Ersten wird schon an diesem Abend die Sorge laut, ob man mit einem solchen zerstörten Kader der Bundes-SPD, nicht schon bei den nächsten Wahlen zum Bundestag auf Schwesig im Land wieder verzichten müsse.
Bei der Linkspartei das gleiche Bild. Zwar forderte Landeschefin Heidrun Bluhm in Richtung SPD im Lande forsch: „Jetzt muss sich Frau Schwesig neu aufstellen. Sie kann nicht so weitermachen wie bisher.“ Andere sehen die Linke in MV selbst in der Pflicht. Von 29 Prozent im Jahr 2009 auf jetzt 17 Prozent, das sind Verluste, die eine Partei marginalisieren können. Schwerins ehemalige Bürgermeisterin Angelika Gramkow (Linke) warnte zudem vor dem Schröder-Effekt aus dem Jahr 2002, als die Linke aus dem Bundestag flog. Mit einer SPD in der Opposition könnte es die Linke ungleich schwerer haben, bei künftigen Bundestagswahlen zu bestehen, wenn sie sich selbst nicht neu aufstellt.
Vor allem wird es die SPD im Land als Regierungspartei schwerer als bislang haben. Auf der einen Seite will sie mit dem Koalitionspartner CDU regieren, andererseits im Bund gegen eine CDU-geführte Regierung opponieren. Ein Spagat für Ministerpräsidentin Schwesig, die als Parteivize der SPD gerade in den letzten Wochen zu dem Gesicht der Partei im Bund geworden ist. Man kann mit einer solchen Situation professionell umgehen, das haben die letzten Regierungsjahre unter Erwin Sellering im Land gezeigt. Aber da waren die Vorzeichen lediglich umgekehrt, die Koalitionen waren im Bund und im Land die gleichen.
Spätestens 2021, wenn im Land wie im Bund Wahlen stattfinden, wird der jahrelange Anachronismus zwischen Bundes- und Landtagswahlen in MV nicht mehr funktionieren. Auf diese Wahl darf man sich schon heute freuen. Nach der Wahl ist bekanntlich vor der Wahl.