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Lutz Jahoda läutet Filmkunstfest MV ein Und was sonst noch schieflief

Von HOka | 24.04.2017, 11:45 Uhr

Eine Begegnung mit dem Sänger und Schauspieler Lutz Jahoda, der heute mit dem Defa-Film „Das verhexte Fischerdorf“ das 27. Filmkunstfest MV einläutet

Das Restaurant hätte Lutz Jahoda nicht besser aussuchen können. Es heißt „Alter Weinberg“ und wäre eine schöne Kulisse für eine der Unterhaltungsshows, die der Künstler in der DDR jahrzehntelang prägte – „Mit Lutz und Liebe“, „Spiel mir eine alte Melodie“, „Der Wunschbriefkasten“.

Wie es der Zufall will, kommt nun auch noch Inge Maria Albert mit ihren beiden Enkeln in den Gastraum. Inge wer? Sie war eine der drei Nancies, also eine jener Tänzerinnen mit den endlos langen Beinen, die gemeinsam mit dem Schlagersänger Michael Hansen auftraten. „Grüß dich, Lutz“, ruft sie. Die beiden kennen sich gut, jeden Sonntag essen sie hier im Storkower Gasthaus gemeinsam Mittag. Lutz Jahoda hat Geschichten von Inge Maria Albert in dem Buch „Nacktgeschichten“ verarbeitet, leicht frivole Erinnerungen der Gründerin der ersten deutschen Striptease-schule nach der Wende. Aber das ist natürlich eine ganz andere Geschichte.

Lutz Jahoda kann im Juni seinen 90. Geburtstag feiern. Die 90 sieht man ihm nicht an. Der Entertainer wird heute im Verlagshaus unserer Zeitung zum Warm-up des 27. Filmkunstfestes MV den Defa-Film „Das verflixte Fischerdorf“ aus dem Jahr 1962 präsentieren, in dem er den Architekten Teddy Vogel spielte. Von dem TV-Dreiteiler „Abschied vom Frieden“ mit Manfred Krug, Erwin Geschonneck und Angelika Domröse abgesehen Jahodas einzige Filmrolle.

 

Dabei schien das Leben für ihn schon früh eine Karriere als Schauspieler geplant zu haben. Weil er keine Lust hat, bei der Hitlerjugend mitzumarschieren, geht er in seiner tschechoslowakischen Heimatstadt Brünn zur Freiwilligen Feuerwehr. Deren Chef ist Inspizient am Theater und engagiert den jungen Lutz gelegentlich als Statist oder für „tragende Rollen“ als Bühnenarbeiter. Am Brünner Theater bekommt er dann auch seine erste kleine Sprechrolle – übrigens an der Seite von Hilde Engel, der Mutter von Frank Elstner, dem später so erfolgreichen Showmaster.

Eine schicksalhafte Begegnung. Denn Elstners Vater, Erich Engel, trifft er später in der Kriegsgefangenschaft wieder. „Vor dem Krieg war er ein gefeierter Theaterstar in Brünn, nun habe ich ihn kaum wiedererkannt, so abgemagert war er.“

Nach der Entlassung folgt er den Elstners erst nach Wien, 1946 nach Berlin. Die beiden geben ihm Schauspielunterricht. 1947 spielt Jahoda dann am Theater der Altmark Stendal schon Hauptrollen in Operetten – mit 21. „Ich habe mich dann auch am Schweriner Theater beworben, wurde aber nicht genommen und ging stattdessen 1955 ans Operettenhaus in Leipzig.“

 

Dort entdeckt ihn der Mitteldeutsche Rundfunk, er singt im Radio, und weil den MDR-Chefs die Tantiemen für Westlieder zu teuer waren, schreibt der junge Sänger sich und anderen die Lieder selber: „Die Blasmusik von Kickritzpotschen“, „Jeden Sonntag gib’s Krawall“, den „Kartäuser Knickebein Shake“ – Lieder aus dem heiteren Geiste seiner österreichisch-ungarischen Heimat.

Als könne es gar nicht anders sein, beginnt Lutz Jahoda, der heute nicht mehr öffentlich auftritt, in diesem Moment unseres Gesprächs zu singen. Einmal Entertainer, immer Entertainer. Es müssen viele Lieder gewesen sein, die er damals schrieb, denn er veröffentlichte sie unter immer anderen Pseu-donymen: Hans Dampf, Axel Colberg, Josef Brünner…

Ab 1957 arbeitet Lutz Jahoda als freischaffender Autor, Sänger und Schauspieler und zieht mit seinen Programmen durchs Land. „Heute Stralsund, morgen Suhl. Ich bin immer selber gefahren, bis heute.“

Der Sänger und Moderator mit dem Wiener Charme war so präsent auf dem Bildschirm, dass er aus dem DDR-Fernsehen gar nicht wegzudenken war.

Sein größter Erfolg war zweifellos die TV-Show „Mit Lutz und Liebe“ und deren Maskottchen, der freche Papagei Amadeus. „Den holte unser Requisiteur einmal im Monat aus dem Leipziger Zoo. Damit es aussieht, als ob er spricht, gaben wir ihm Erdnüsse zu knabbern. Dann konnte er mit der Stimme von Edgar Pfeil losplappern: ,Lutzl wär ein dummes Ei, hätt er mich nicht dabei.‘ Leider hat Amadeus, der eigentlich Lore hieß, die Wende nicht überlebt. Vielleicht fehlte ihm die monatliche Abwechslung.“ Als Regisseur Hans-Joachim Kasprzik Jahoda für „Abschied vom Frieden“ besetzen wollte, warnte der ihn: „Seien Sie vorsichtig, die Zuschauer werden immer den Papagei auf meiner Schulter sitzen sehen.“ Um dann noch ehrlich hinzuzufügen: „Also ich hätte mich nicht besetzt.“

Nicht nur als singender und tanzender Entertainer feierte Lutz Jahoda Erfolge. Für viele seiner Sendungen und Shows schrieb er auch Konzepte und Texte, oft gemeinsam mit Heinz Quermann, dem Übervater der DDR-Unterhaltungsszene.

Auch wenn schon so viele Jahre vergangen sind, die Dreharbeiten zum Defa-Film „Das verhexte Fischerdorf“ in Ahrenshoop sind für Lutz Jahoda noch ganz lebendig – nicht nur, weil sie in die Zeit des Mauerbaus fielen. Da der Künstler parallel im Friedrichstadtpalast auftreten musste, wurde er mit einem alten Düngerflugzeug auf den Darß geflogen, mit maximal 150 Stundenkilometern und Sichtkontakt zur Erde. Die Landebahn war eine Wiese bei Zingst – auf einem Kreuz aus Bettlaken. „Weil sich die Dreharbeiten durch die politischen Wirren ungeplant bis in den Herbst hinzogen, musste die Requisite Blätter an die Bäume knüpfen.“

„Mit 100 bin ich schuldenfrei“, sagt Lutz Jahoda nüchtern. Wenn es nicht so ernst und wahr wäre, müsste man schmunzeln. Doch der Künstler im Ruhestand teilt das Schicksal vieler anderer Ostdeutscher nach der Wende. Er fiel auf einen Betrüger herein, der ihn überredete, in Berlin drei Jeansläden zu eröffnen, „Mir fällt es immer noch schwer, ihn Betrüger zu nennen, obwohl er genau das ist. Mein Fehler bestand darin, dass ich für einen seiner Kredite bürgte, obwohl er längst pleite war. Aber ich konnte alle meine Angestellten vor der Entlassung ordentlich bezahlen, sonst wäre ich wohl ins Gefängnis gegangen.“

In den letzten Jahren hat sich der frühere Entertainer einen Jugendtraum erfüllt: Er schreibt. Hat seine Lebenserinnerungen herausgebracht. Gemeinsam mit dem bekannten Karikaturisten Rainer Schwalme ist gerade ein Buch fertiggeworden – der Titel: „Lustig ist anders“, 450 Seiten, ein „Deutsch-Amerikanisches Lesebuch“. „Es wird mir viele Freunde einbringen und auch viele Feinde.“

Lutz Jahoda ist ein moderner alter Mann, der in der Zeit lebt und am Computer arbeitet. Mit eigenen Büchern und denen für andere hat er mehr als genug zu tun. Mit seiner 44 Jahre jüngeren Frau geht er in der nahen Binnendüne spazieren, und wenn er doch mal Hilfe am Rechner benötigt, hilft ihm sein 19-jähriger Sohn. Als ich ihn ganz am Anfang gefragt habe, wie es ihm geht, hatte er lächelnd „den Umständen entsprechend“ gesagt. Vielleicht trifft es auch der Titel seiner Autobiografie „Lutz im Glück und was sonst noch schieflief“.