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Sex Selection Ich wünsch’ mir einen Jungen...oder ein Mädchen?

Von Sina Wilke | 09.10.2016, 09:00 Uhr

Hätten Frauen und Männer lieber Söhne oder Töchter?

„Ganz egal – Hauptsache gesund!“. So lautet die häufige Antwort werdender Eltern auf die Frage, ob sie sich ein Mädchen oder einen Jungen wünschen. Aber ist Eltern das Geschlecht ihrer Kinder wirklich egal?

Studien zum Thema gibt es kaum. Die Einzigen, die dazu in Deutschland geforscht haben, sind Dr. Edgar Dahl, Bioethiker von der Uni Münster, und Prof. Dr. Burkhard Brosig, Oberarzt des Zentrums für Kinderheilkunde in Gießen. Anlass für ihre Untersuchung, die bereits 13 Jahre zurückliegt,  war eine Debatte über Geschlechter-Selektion: Medizinisch ist es längst  möglich, Paaren mit  künstlicher Befruchtung zu Nachwuchs mit ihrem Wunsch-Geschlecht zu verhelfen. In den USA ist diese sex selection zugelassen; spezielle Geschlechter-Kliniken haben sich darauf spezialisiert, den Eltern ihren Herzenswunsch nach Töchterlein oder Söhnchen zu erfüllen. In Deutschland allerdings ist das Verfahren verboten – unter anderem, weil befürchtet wird, dass es zu einem Ungleichgewicht der Geschlechterverhältnisse führen würde.  Aber ist die Sorge begründet? Um das herauszufinden, befragte das Team um Dahl und Brosig über 1000 Männer und Frauen. Ihr Ergebnis: „Der Geschlechterwunsch ist nahezu ausgeglichen“, sagt Edgar Dahl – mit einer leichten Präferenz für Jungen.

76 Prozent der Befragten wäre das Geschlecht ihres ersten Kindes egal, 14 Prozent wünschten sich eher einen Jungen, zehn Prozent ein Mädchen. Wurde nach  allen Kindern gefragt, wäre deren jeweiliges Geschlecht noch 58 Prozent der Befragten egal – 30 Prozent hätten gern ebenso viele Jungen wie Mädchen, 4 Prozent mehr Jungs, 3 Prozent mehr Mädels (der Rest ist unentschieden oder präferiert zu gleichen Teilen ausschließlich ein Geschlecht).

Den Meisten ist das Geschlecht ihres Kindes  also grundsätzlich egal – vor allem beim ersten. Bei weiteren Kindern wünschen sich sehr viele einen Jungen, wenn sie bereits ein Mädchen haben und umgekehrt. Interessant ist, was sich beim differenzierten Hinsehen  zeigt:  Jüngere Männer hätten als erstes Kind lieber Söhne, ältere Frauen Töchter – während jüngere Frauen und ältere Männer keine Präferenz haben. Warum ist das so? „Wir können nur interpretieren“, sagt Brosig. „Junge Männer haben oft noch Angst vor der Verbindlichkeit, die ein Kind bedeutet.  Wenn sie dann den großen Schritt schon wagen, wollen sie wenigstens einen Stammhalter.“

Und die älteren Frauen? „Sie haben vielleicht lange auf ein Kind gewartet oder wissen, dass es ihre letzte Chance auf Nachwuchs sein könnte. Daher wünschen sie sich ein Kind, das sie spiegelt und mit dem sie sich eine größere Harmonie vorstellen.“

Die Untersuchung zeigte auch, dass bei Männern der Wunsch nach einem Sohn ausgeprägter ist als bei Frauen die Sehnsucht nach einer Tochter. „Männer sind ein bisschen narzisstischer als Frauen. Sie wollen sich in ihrem Kind verwirklichen und sehen in ihm eher  eine Person, die sie selbst komplettiert, verschönert und ergänzt“, sagt Brosig.  Diese Annahme passt zu einer Studie aus den USA, die zeigt, dass Jungen als Beziehungskitt wirken: Forscher fanden heraus, dass Männer eher ihre Freundin heiraten oder bei ihrer Frau bleiben, wenn sie einen Sohn haben oder erwarten.  Allerdings ist die Vorliebe für ein Geschlecht  in den USA im  Gegensatz zu Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern auch viel stärker: So wünschen sich  40 Prozent der US-Amerikaner Jungen, aber nur 28 Prozent ein Mädchen. In patriarchalischen  Gesellschaften dürfte das Verhältnis noch extremer sein.

Trotzdem sind all diese Studien mit Vorsicht zu genießen. Denn die große Frage lautet ja: Haben die Befragten ehrlich geantwortet? „Ja“, glaubt Edgar Dahl. „Die Sozialwissenschaft zeigt: Je intimer  eine Frage, desto aufrichtiger die Antworten.“ Brosig ist da skeptisch: „Die Bevorzugung eines Geschlechts ist ein hochtabuisiertes Thema. Jeder weiß, was er zu antworten hat, nämlich: ,Es ist mir egal’. Und ich vermute, dass gerade Männer sich nicht trauen, mit ,Junge’ zu antworten, weil das eine traditionelle Einstellung offenbaren könnte.“