Es ist ein trüber Morgen. Die Hansestadt Wismar präsentiert sich heute weniger als Postkartenmotiv, sondern erinnert eher an die Stimmung einer Edgar Allan Poe Geschichte.
Wir sind passenderweise mit dem Schauspieler Dominic Boeer zu einer Stadtrundfahrt inklusive Spaziergang am Hafen verabredet. Passend, weil Dominic seit mehr als zehn Jahren für die Soko Wismar ermittelt. Eine deutsche Kriminalserie, welche die Kulissen der Stadt und des Umlandes seit nunmehr 15 Jahren nutzt, um hier Kriminalgeschichten zu erzählen.
Bevor Sie an dieser Stelle jedoch etwas über die Soko Wismar und Dominic Boeer alias Kriminaloberkommissar Lars Pöhlmann lesen, müssen Sie sich noch einige Zeilen gedulden. Die Geschichte über den sympathischen Familienvater ist vielschichtiger und beginnt, statt im mordlustigen Hohen Norden, in Nordrhein-Westfalen, genauer gesagt in Lippstadt. Hier wuchs er auf und machte im zarten Alter von acht Jahren seine ersten Bühnenerfahrungen. „Ich weiß nicht mehr, wie das Casting stattgefunden hat. Das war damals auf eine Art, die ich nicht mitbekommen habe, alles ging ganz schnell und plötzlich war ich für ein Jahr der Mogli im Dschungelbuch.“ Die Schauspielerei begleitete ihn seine gesamte Schullaufbahn. Ob Shakespeare, Oscar Wilde oder Elvis - im Lauf der Zeit schlüpfte er, vorausgesetzt die Noten waren gut, in die verschiedensten Rollen. „Dadurch hatte ich eine sehr hohe Motivation für die Schule. Ich stand einfach total gern auf der Bühne. Das war echt immer ein Spaß.“ Dann kam das Abitur und er musste sich überlegen: Wie soll es weiter gehen? „Die Schauspielerei war irgendwie schon immer da, war ein Teil von mir. Ich konnte damals allerdings nicht begreifen, dass das ein Beruf sein soll, weil es kann ja nicht sein, dass ein Beruf so viel Spaß macht. Außerdem komme ich aus einer Journalistenfamilie und habe mich schon immer sehr für Politik interessiert. Ich fasste also den Entschluss, nach dem Abitur Politologie zu studieren.“
Eine Weile hat er dann beides gemacht, studiert und als Schauspieler gearbeitet. Kurz vor Beendigung des Studiums musste er sich erneut entscheiden. Die Zahl der Rollenangebote stieg, die Schauspielerei nahm immer mehr Zeit in Anspruch. Das Studium stellte sich zu oft hinten an. Er beschloss Vollzeit zu schauspielern. Und dennoch bewegt sich der 41-jährige bis heute in beiden Welten, der vermeintlich glitzernden der Medien und der drögen der Politik. Ein beeindruckender und doch eher ungewöhnlicher Spagat. „Ich schreibe sehr gerne, ob für die ‚Welt‘ oder die ‚taz‘, was ja eine ganz unterschiedliche Range ist. Die taz ist sehr weit links, die Welt eher rechts der Mitte. Mein Spezialgebiet sind dabei Wahlkämpfe. Ich habe selbst lange für einen Ministerpräsidenten gearbeitet, geschrieben und ihn in seinem Wahlkampf beraten.“ Ihn reizen bis heute politische Zusammenhänge. „Ich versuche die Dinge erst einmal zu umfassen und dabei wenig aktivistisch aufzutreten, sondern wertfrei an die Themen ranzugehen. Man merkt oft sehr schnell, dass Sachverhalte viel facettenreicher sind, als man zunächst annimmt. Was natürlich für jeden schwer ist, denn jeder hat eine politische Haltung und auch eine Meinung, aber ich versuche immer, dieses Subjektive abzukoppeln und möglichst wertfrei an die Inhalte heranzugehen, wenn ich sie interessant finde.“
Dominic Boeer ist ein unglaublich facettenreicher Mensch und sagt über sich selbst: „Ein einfacher Typ bin ich nicht. Schon sehr Einzelgänger, mit meiner Männer-WG mit Sohn und französischer Bulldogge.“ Auf der anderen Seite ist er über die Maßen harmoniebedürftig. Spricht vom Team der Soko Wismar, seinen Kollegen, in den höchsten Tönen. „Ich würde behaupten, dass ich mit jedem Einzelnen, mit dem ich dort jeden Tag drehe, echt befreundet bin. Das macht es bei uns wirklich aus. Wir pflegen wirklich einen sehr guten Umgang miteinander.“
Für eine Folge Soko Wismar werden pro Tag vier bis neun Minuten Material produziert. Im Studio in Berlin geht es schneller, bei Außendrehs ist das Team auf Tageslicht angewiesen. Aber wie läuft so ein Tag am Set für den charmanten Wahlberliner ab?
Wird in der Hauptstadt gedreht, fährt Dominic Boeer selbst zum Set. „Das liebe ich. Mit meiner alten Country-Musik morgens auch schon mal krumm und schief mitzusingen. Herrlich. Außerdem ist es meine Telefonzeit. Im Auto telefoniere ich oft mit der Freisprechanlage.“ In Wismar ist es ja anders. „Hier werde ich abgeholt und versuche, wenn ich ankomme, noch schnell zum Catering zu gehen und mir zu greifen, was ich noch kriege. Leider habe ich die Angewohnheit, immer zu spät zu kommen. Ich arbeite da wirklich ernsthaft dran, aber es ist ganz schlimm. Diese fünf Minuten, es ist zum Verrücktwerden (lacht). Im Normalfall sind es wirklich immer nur fünf Minuten, aber, das, ja. Ich werde auch nicht weiser.“
Dann schlüpft er schnell in sein Pöhlmann-Outfit und es geht in die Maske. „Da haben sich die Zeiten auch verändert“, stellt er selbstironisch fest. „Das waren früher mal 5 Minuten, tja und heute sind es dann zwischen 15 und 20 Minuten. Ich weiß noch, als die Maskenbildnerin vor zehn Jahren sagte: ‚Mensch, was soll man da machen?‘ Und heute sagt sie: ‚Komm, setzt dich mal schnell hin.‘ Und atmet einmal tief durch, weil sie weiß, jetzt wartet Arbeit auf sie. Zehn Jahre Soko gehen auch an mir nicht spurlos vorbei.“ (lacht)
Weiter geht es zum Tonmeister, um dort verkabelt zu werden. Von nun an muss man aufpassen, was man sagt. Denn unter Umständen hören 20 Kopfhörerpaare mit, bei jedem Telefonat, bei jedem Toilettengang. Das kann schon mal für den einen oder anderen Lacher sorgen. „Dann wartest du am Set auf eine Kollegin. Alle suchen sie. Irgendwann haben wir über die Lautsprecher ganz eindeutig gehört, an bzw. auf welchem Örtchen sie sich befand. Ein Klassiker.“ Am Set selbst werden dann diszipliniert die einzelnen Szenen des Tages abgearbeitet. Diese sind wild durcheinander gewürfelt aus vier oder fünf Folgen. Völlig unchronologisch. Aus dem Buch Szene 35, aus einem anderen Buch Szene 4. Es heißt also Konzentration für alle Beteiligten. Nach so einem Tag, der im Sommer auch gern einmal 12-14 Stunden dauern kann, ist Dominic Boeer oft zu kaputt gespielt, um sich gemeinsam mit den Kollegen ins Wismarer ‚Nachtleben‘ zu stürzen. Dann gönnt er sich lieber eine Runde Sport oder Ruhe. Außerdem wollen die Szenen für den nächsten Tag noch vorbereitet werden.
Er liebt seinen Job. „Es ist wie ein großer Abenteuerspielplatz, auf dem mich die unterschiedlichsten Dinge erwarten. In einer Serie musste ich mal einen Koch spielen, der wahnsinnig schnell Zwiebeln schneidet. Man muss dazu sagen, dass ich Zwiebeln hasse und ich kann auch keine Zwiebeln schneiden. Ich war also zu Hause und musste das erste Mal in meinem Leben einen riesen Sack Zwiebeln schneiden. Dann musst du plötzlich klettern. Da gab es eine Serie, die ich im Elbsandsteingebirge gedreht habe. Du schaust auf eine riesige, hohe, steile Wand und denkst dir: Wie komm ich da denn jetzt hoch? Und von heute auf morgen verbringst du die nächsten Wochen jeden Tag in einer Kletterhalle. Die schrägsten Sachen können passieren. Plötzlich musst du Tango tanzen, und du denkst dir, um Gottes Willen, ich mit meinen zwei linken Füßen. Das ist es, was den Beruf ausmacht.“
Dass Dominic Boeer seinen Beruf liebt, glaubt man ihm sofort. Er ist authentisch, fast ein wenig nordisch. Das ‚Moin‘ von Pöhlmann ist in jedem Fall schon längst auch ein Teil von Boeer geworden. Und so ist es auch nicht verwunderlich, das uns auf unserem Spaziergang durch Wismar zahlreiche Soko-Fans begegnen, die Dominic an ihren Lebensgeschichten und ihrer Beziehung zu einer der beliebtesten Vorabendserien im deutschen Fernsehen teilhaben lassen. Ich lausche mit einem Ohr und bin entzückt, wie viel positive Energie die Menschen aus der Serie mitnehmen. Da bleibt nur zu hoffen, dass Dominic Boeer der Soko Wismar noch lange erhalten bleibt.

